Sehnsucht – mein treuer Freund und Weggefährte Desire – wie schön es auf englisch klingt.
So leicht und poetisch, ein wenig melancholisch und doch so voller Leidenschaft. Wer von „desire“ spricht, scheint gefühlt das ganze Leben gesehen zu haben – hundert Leben gelebt – ein Weltenbummler, der sich nirgends zu Hause fühlt und doch so viel zu erzählen hat. Wer von „desire“ spricht, hat überall Freunde und isst die exotischsten Speisen, hat braungebrannte Haut und Salz in den Haaren. Wer von „desire“ spricht sitzt in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda und weckt Fernweh in den Herzen seiner unzähligen Enkelkinder.
Doch ich habe Sehnsucht.
Mich holt die kalte Realität ein. Deutschland – das Land der Dichter und Denker und niemand fand ein besseres Wort für dieses Gefühl? Eine Sucht?
Und ich habe sie, diese Sehnsucht – und daran ist nichts leicht oder poetisch.
Ich träume davon, hundert Leben gelebt zu haben, doch koste ich dieses eine nicht mal ansatzweise aus. Es fühlt sich an, wie auf der Stelle laufen. Die Jahre ziehen vorbei und obwohl man rastlos taumelt, scheint man sich doch nicht bewegt oder gar entwickelt zu haben. Alles wird auf „später“ verschoben.
„Ach, das?- Das ist nur ein Übergangsjob – Ach, eigentlich ist es nicht der beste Studiengang, den man sich wünschen kann, aber es sind doch nur 3 Jahre.“ Und plötzlich merken wir, dass wir uns durch quälen, immer wieder das Beste verlangen und doch nur das Mittelmaß geben. Wir lassen die Jahre vorbeiziehen und doch wollen wir uns marschieren sehen. Selbstsicher und stetigen Schrittes Richtung TRAUM.
Aber ist nicht der Weg das Ziel? Und bestimmt die Art wie wir ihn gehen, seine Qualität? Ist unser Weg weniger wertvoll, wenn wir taumeln oder stehen bleiben um die Blumen am Wegesrand zu bestaunen? Können wir überhaupt noch genießen, ohne Reue etwas verpasst zu haben und diesem Gefühl „vielleicht etwas zu verpassen“ ständig hinterherhecheln?
Ist es das Überangebot an allem, was uns stocken lässt? Das Besser und Schöner der Andere das mit unserem eigenen Glück ständig konkurriert?
Nun muss man nicht mehr aktiv einen Partner suchen und freut sich über diese Eroberung – und wenn wir schon von der Couch aus Kilometerweit nach rechts wischen, können wir auch gleich sitzen bleiben. Fiese Screenshots machen von dummen Anmachsprüchen, aber selber nicht den Mut haben, um den süßen Typen in der Bahn anzusprechen.
Ist es das unterbewusste Gefühl, dass jeden Moment etwas Besseres um die Ecke kommen kann und das dieses “Bessere” UNS auffordert? Lässt es uns so sehr zögern, dass wir gar nicht mehr weiter gehen, sondern warten, was um die Ecke kommt? Uns dann nicht mal mit dem zufriedengeben, was unseren Weg kreuzt, denn vielleicht kommt gleich etwas noch besseres. Oder meiden wir einfach die Verpflichtung indem wir uns niemals binden? Das “Young, wild and free” ist das “alt, einsam und bedürftig” von morgen.
Und wer zum Teufel sagt mir was „das Bessere“ ist? Denn scheinbar überall und zu jeder Zeit habe ich diese Sehnsucht danach.
Klar, hier fühle ich mich nicht wirklich wohl, aber fühle ich mich woanders wohler?
Und wo ist „woanders“? Wo ist das Gras grüner und kann ich es von der Couch aus sehen, um zu entscheiden, ob ich mich wirklich auf den Weg machen will?
Diese Sehnsucht treibt mich an – treibt mich Richtung Wahnsinn, mit jedem Windstoß spüre ich es in mein Ohr seufzen „mach was aus deinem Leben – mach was Bedeutendes – was dich gleichzeitig glücklich macht“.
Diese Sehnsucht jagt, schneller und schneller. Raubt mir den Schlaf und vergiftet meine Gedanken. Sie ist ein verräterischer Weggefährte, der dir mit jeder Sekunde die innere Uhr vor Augen hält und dich doch um wertvolle Zeit betrügt.
Ich laufe, haste und doch – doch habe ich das Gefühl zu stehen! Und zu warten.
Während also mein inneres um sein Leben rennt – nach dem Sinn seines Lebens.
Währenddessen warte ich, ob etwas Besseres um die Ecke kommt.
Und nun verrate mir, wie soll das funktionieren, wenn ein Teil von mir kopflos hastet und der Andere naiv wartet?
Und nun verstehe ich es. Sehnsucht ist eine Sucht, sie vergiftet unser Herz und trübt unsere Gedanken, wenn wir zu viel von ihr kosten. Doch gleichzeitig treibt sie mich an. Sie ist ein willkommener Freund, mit dem ich lachen und weinen kann, der mir einen guten Ratschlag gibt und diesen vielleicht doch zu derb verpackt. Einen Ratschlag, den ich oftmals zu spät verstehe und doch genau rechtzeitig.
Und auch wenn ich mir oft wünsche, dass dieser Freund endlich geht, mich endlich aufhört zu belasten und meine Brust schwer atmen lässt. So freue ich mich jedes Mal, wenn er mich an die Hand nimmt und zeigt, dass sich Sehnsucht lohnt. Dass ihr zu folgen sich lohnt, denn – auch wenn es nicht immer leicht ist, stehen zu bleiben, sein Glück in fremde Hände legend zu warten, ob was Besseres kommt – bringt dich nicht näher an dein Ziel.
Ich habe ein anderes Wort für Sehnsucht – ein guter, treuer Freund. Ein Teil von mir, der nur das Beste will. Der mich antreibt und nicht jagt, doch das musste ich erst verstehen.
Ich umarme dich, mein treuer Freund und Weggefährte.
(Danke an meine Oma, für ihre Inspiration und ständiges Anhören solcher Gedanken).